Nanning Tagebuch 1
11. Juni 2014, 16:14
Wir flogen nach Nanning zu den geplanten dreitägigen Gesundheitschecks. Am Himmel droben grüßte ein wunderbarer Halbmond. Ein gutes Zeichen wenn man bedenkt, dass wir hier waren um den gefährdeten Mondbären zu helfen. Man nennt sie so wegen des zitronenfarbenen Halbmonds auf ihrer Brust.
Jeder von uns war etwas besorgt – im Team der Tierärzte über die Bärenmanager und Vorarbeiter, die Übersetzer und die Mitarbeiter des PR Teams. Das hier war echte „Feldarbeit“. Sechs Bären sollten betäubt und untersucht werden um die Ursachen von jahrelangen Schmerzen zu beseitigen.
Schuppen 1 und 2
Das waren die glücklichen 6 aus 130 Bären, die man bis dato eingesperrt hatte um ihnen den Gallensaft abzuzapfen. Oder um sie zur Zucht in einer der berüchtigten Bärengallefarmen in China zu verwenden. In einem erstaunlichen Akt des Mitgefühls hat vergangenes Jahr der Bärenfarmer Herr Yan die Behörden kontaktiert und gesagt, dass die Haltung von Bären in Farmen „grausam und hoffnungslos“ sei und er deswegen seine Farm aufgeben wolle und auf der Suche sei nach einem guten zuhause für seine Bären. Die Behörden schlugen vor, dass er mit Animals Asia zusammenarbeiten solle. Daher besuchten Herr Yan und seien Mitarbeiter unser Rettungszentrum für Bären in Chengdu, Provinz Sichuan. Dort haben wir bis heute 285 Bären gerettet. In unserem anderen Rettungszentrum im Tam Dao Nationalpark in Vietnam wurden weitere 118 Bären gerettet.
Von da ab gab es schnelle Fortschritte und wir sprachen mit Herrn Yan über die Möglichkeit, nur einige der kränksten Bären in unser Rettungszentrum in Chengdu zu bringen und aus seiner Farm eine Zuflucht für den Rest der dort lebenden Bären zu machen. So könnten wir der chinesischen Öffentlichkeit zeigen, dass Bären, Besitzer von Gallefarmen und das ganze Land profitieren können wenn sie diese grausame und unnötige Industrie beenden und diese charismatische Bärenart um ihrer selbst willen feiern statt sie als „Nutztiere“ für die Menschen zu sehen.
Schuppen 3
Natürlich würde eine solche Kampagne viel Geld kosten (wir versuchen verzweifelt, dafür in den nächsten drei Jahren 5 Mio US$ aufzubringen), doch es war uns auch bewusst, dass Herr Yan seine Bären für weit mehr an andere Farmen hätte verkaufen können. Doch dieser Bärenfarmer war aufrichtig und erklärte bei einer Pressekonferenz in Peking im April seine Gründe um aus diesem Geschäft auszusteigen und seine Bären aus einem Leben voller Schmerzen zu befreien.
Jetzt, auf der Fahrt zur Farm für die Gesundheitschecks wussten wir, dass die erste Priorität den Bären galt und dass ihre Not größer war als jedes Gefühl von Angst oder Befürchtungen die wir etwa haben sollten. Es ging um sie und die kommenden drei Tage galt es, Gefühle zur Seite zu schieben und so professionell zu arbeiten wie die Bären es brauchten.
Im Schuppen 3. Dort arbeiteten die Tierärzte in einem Nebenraum.
Mit dabei bei dieser besonderen Reise war die englische Schauspielerin Lesley Nicol, die die herrische und doch warmherzige Köchin Mrs. Patmore in der populären Serie Downton Abbey spielt. Lesley hatte uns letztes Jahr schon in Chengdu besucht, wo sie sofort Mitgefühl für die Bären hatte. Damals war auch Andrew Telling, Synchronsprecher und englischer Filmemacher dabei der über ihre Reise berichtete um den Bären zu helfen.
Es ist nicht einfach, einen schmutzigen Raum in einer Bärenfarm für medizinische Aufgaben vorzubereiten. Doch wieder meisterte das Team auch diese Aufgabe und bald sah es dort aus wie in einem Feldlazarett aus dem Film MASH. Rocky und Ai, unsere Vorarbeiter im Bärenteam errichteten schnell einen Infusionsständer aus Metallrohren um die Beutel mit den Infusionen aufzuhängen und die anderen packten die Koffer aus, bereiteten die Geräte vor und machten sich fertig für die erste Narkose des Tages.
Bärenmanagerin Heidi an dem improvisierten Infusionsständer
Jen, die Tierärztin und die Tierkrankenschwestern Wendy und Vicky bereiteten in Ruhe die Narkose eines Bären vor, den wir Delilah nannten. Das Schicksal klopfte an und schon bei diesem ersten Bären gab es einen Schock, als der Atem von Delilah schon wenige Minuten nach der Gabe des Narkosemittels aussetzte. Zum Glück war unser Tierarztteam gut vorbereitet und nach einigen Minuten der Reanimation atmete Delilah wieder und stabilisierte sich so, dass der Gesundheitscheck durchgeführt werden konnte. So verletzlich wie sie am Boden lag wurde es bald klar, dass sie viele traumatische Jahre durchlebt hat. Eine große Narbe nur Millimeter neben ihrer Halsschlagader und hervortretende Brustwarzen zeigten an, dass sie wohl einer der Zuchtbären der Farm gewesen ist und während ihrer Trächtigkeit in einem Kampf verwickelt war. Vielleicht wurde ihr auch der Gallensaft abgezapft – und die drei abgebrochenen Zähne die wir entfernen mussten zeigten eindeutig, dass sie lange Zeit in einem Käfig gelebt hat wo sie wie wahnsinnig in die Gitterstäbe biss wie es viele Bären machen. Bis schließlich ihre eigenen Zähne zerbrachen.
Das Tierärzteteam – Vikki, Jen und Wendy
In den kommenden drei Tagen wurden insgesamt sechs Bären untersucht – bei allen mussten wir mehrere kaputte Zähne entfernen. Einigen, wie auch Pickle Nicole (Jetzt der Bär von Lesley), waren sie bewusst bis zum Gaumen abgeschnitten worden (Womöglich auch vor ihrer Ankunft in Nanning). Bei Pickle waren auch die Klauen entfernt worden, indem man die Spitzen ihrer Pfoten abgeschnitten hat. Damit konnten sie nie mehr nachwachsen. Viele unserer geretteten Bären sind Opfer solch grausamer Prozeduren geworden – doch ihre stoische und anpassungsfähige Natur lässt sie solches überleben, auch ohne Klauen und Zähne.
Pickle Nicol
Pickle zeigte sich auch würdig, Mrs. Patmore’s Bär zu sein indem sie um Aufmerksamkeit zu erregen, immer wieder spielerisch ihre eigene Hüfte schlug. Das wurde offenbar, als Lesley sie gegen die Hitze des Tages mit einem Schlauch abspritzte und Pickle dabei immer wieder auf ihre Hüfte schlug, sobald das Wasser stoppte. Offensichtlich wollte sie mehr davon. Aus irgend einem Grund erinnerte mich das an den alten Film mit Howard Keel „Sieben Bräute für Sieben Brüder“ … in dem er ausflippte und sich auf die Schenkel schlug und sang „Ber’less your beautiful hide“ und dabei mit perlweißen Zähnen breit lachte!
Lesley Nicol duscht Pickle Nicol
Im Lauf dieser turbulenten Tage mit ihren Hochs und Tiefs sollten wir noch viele weitere schockierende Dinge sehen. Bei Milly Bär waren nicht nur die Vordertatzen ohne Krallen, die Krallen an ihren Hintertatzen waren schrecklich ausgewachsen, wobei eine sogar durch den Ballen stach. Der Geruch der Entzündungen war schrecklich und Jen musste einiges totes Gewebe wegschneiden damit die Tatze zumindest die Chance hatte zu heilen. Auch die Zähne der armen Milly waren in schrecklichem Zustand – nachdem jemand ohne medizinische Kenntnisse sie abgeschnitten hatte bis an den Knochen, wobei Zahnbein und Nerven offen lagen und jetzt Knochen über die Stümpfe wuchs, waren sie kaum mehr als solche zu erkennen. Nichts in ihrem Maul war mehr „normal“ und es gab viel Blut. Eine schwierige Operation für Jen.
Die Vorder- und Hintertatzen von Milly – eine ohne Klauen, die andere mit eingewachsener Klaue.
Neben schlimmer Zähne und Tatzen waren weitere Bären offensichtlich Opfer der sogenannten „frei laufenden Methode“ – der einzigen in China erlaubten Extraktionsmethode, bei der eine Fistel (ein Loch) in den Bauch des Bären und in die Gallenblase geschnitten wird, damit der Gallensaft frei herauslaufen kann. Sowohl bei Pickle und Bär B13 (bald bekommt er einen Namen) fanden wir Narbengewebe und offensichtlich Stellen wo ihnen die Galle abgezapft wurde. Wie wahrscheinlich bei etwa 20 weiteren Bären muss ihnen die offensichtlich beschädigte Gallenblase entfernt werden. Mehrere Bären in der Farm sind auch blind oder haben große Sehprobleme und brauchen auch viel Betreuung wenn wir die Erlaubnis haben, sie aus der Bärenfarm in Nanning in unser Rettungszentrum in Chengdu zu bringen.
Milly erholt sich nach ihrem Gesundheitscheck
Die ganze Zeit machten unsere Tierärzte weiter – bei Temperaturen Mitte 30 Grad, wobei man manchmal stundenlang in derselben Haltung stehen musste um entweder die Narkose zu überwachen oder den Kopf des Bären zu halten während Jen daran arbeitete. Jen selber hat einen schlimmen Rücken und musste sich einmal sogar auf den Boden legen um ihn wieder einzurenken – täglich neun Stunden lang über Bären gebeugt haben ihm offenbar nicht gut getan.
Diese drei Tage waren eine Glanzleistung unseres Tierarztteams, die sieben bis neun Stunden lang operierten und dann um 11 Uhr Nachts warteten, bis auch der letzte Bär wieder ganz wach war und auf allen vieren stehen konnte. Respekt und Dank an sie und den Rest des Teams, das in diesen drei Tagen viele Arbeiten gleichzeitig erledigte und jetzt sich für die kommenden Wochen und Monate vorbereitet.
Nic, unsere Direktorin des Tierärzte- und Bärenteams leitet die Operation sowohl in Chengdu als auch in Nanning. Sie und alle Beteiligte sind jetzt sicher ausgelaugt doch erstaunlicherweise ist ihr Sinn für Humor noch sehr intakt und es gab auch viele Momente voller Lachen (bis an die Grenze der Hysterie).
Der Gesundheitscheck von Galaxy beginnt
Die Erleichterung der Woche war, dass ein sehr dünner Bär namens Galaxy (wegen ihres schokoladebraunen Fells) als offenbar recht gesund erkannt wurde, ohne versteckte ernsthafte Krankheiten. Wir waren um Galaxy besorgt weil sie so dünn war und hatten den Verdacht auf Leberkrebs, den wir bei Bären aus Farmen häufig finden. Doch scheinbar braucht sie nur viel nahrhaftes Futter und nachdem wir ihr drei schlimme, schmerzende Eckzähne entfernt haben, glauben wir, dass sie sich bald erholen wird.
Wegen ihres schönen braunen Fells wurde sie Galaxy genannt.
Lesley bemerkte auch etwas Gutes, denn sie sah, dass Pickle Nicol weniger stereotypes Verhalten zeigte, nachdem ihre zerbrochenen Zähne entfernt worden waren. Sich hat offenbar jetzt keine Schmerzen mehr und kann sich endlich auf ihr Futter freuen. Heute arbeitet unser Team an der Verbesserung des Futters für die Bären und bietet ihnen verschiedene Früchte und Gemüse, die sie wohl nie zuvor bekommen haben. Diese Woche wird Bärenmanagerin Heidi wieder vor Ort sein und das Bärenteam anleiten. Die Tiere haben jetzt freien Zugang zu Wasser, eine Dusche mit dem Schlauch und anregende Dinge wie Einstreu für die Erwachsenen und jugendlichen Bären. Für unseren jüngsten, den vier bis fünf Monate alten Smudge, gibt es sogar ein kleines Klettergerüst und eine Plastikwanne um darin zu plantschen.
Herr Yan, der ehemalige Bärenfarmer hat uns auch tief beeindruckt als er vorbei kam und einen ganzen Morgen lang beim gesundheitscheck von Galaxy dabei war. Er fragte und machte Fotos und war interessiert an allem und sehr erfreut über ein von Lesley unterschriebenes Foto in ihrer Rolle als Mrs. Patmore.
Herr Jan und Lesley Nicol
Lesley war ein Star in jeder Hinsicht, obwohl sie noch nie eine Bärenfarm besucht hat. Bald gibt es noch einen Blog über ihren Besuch. Doch jetzt bleibt mir in Erinnerung wie sie die Bären abduscht und dabei singt – der Gang von Schuppen 3 hallte wider mit den bekannten Klängen von Abba und besonders passend ihrem Song: „Take a Chance on Me“.
Dies ist unsere Chance, aus einer Farm eine Zufluchtsstätte zu machen. Zusammen mit einem Bärenfarmer können wir das Leben dieser Bären verändern und gemeinsam mit den Menschen in China auch eine der schlimmsten Praktiken in der Welt beenden. Ich hoffe, Sie helfen uns auch, Peace by Piece, gemeinsam mit Animals Asia um diesen stoischen, duldsamen und nicht nachtragenden Bären zu helfen.
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